TommyKS hat diesen Text mal verfasst, um seine Gedanken zum Schwulsein niedergeschrieben. Hier also seine Sicht der Dinge - im Original und unverfälscht ... einfach mal lesen.

Schwul? Na und!

Das ich schwul bin, weiß ich schon seit vielen Jahren. Aber ich habe es viele Jahre nicht wahrhaben wollen, dass ich wes bin. Dann habe ich es irgendwann für mich selbst akzeptiert, dass ich schwul bin.

Ich hatte aber eine Riesenangst, dass andere es merken könnten. Denn ich wollte nicht ausgegrenzt und verachtet werden. Die "normalen" Menschen haben ja viele nette Worte für Schwule erfunden - Warmduscher, Tucke, Tunte, Arschf... und viele andere abwertende Worte.

Und doch war immer die Sehnsucht da, das es auch für mich ein kleines Stück Glück gibt. Denn ich wollte nicht ewig allein durchs Leben gehen. Über Jahre stand ich mir selbst im Weg und hatte nicht den Mut eine Beziehung aufzubauen. Ich habe mich irgendwann schon fast damit abgefunden, dass ich immer allein bleiben werde.

Alleinsein kann sehr anstrengend und frustrierend sein. Es ist niemand da mit dem man schöne Erlebnisse teilen kann. Es macht viel mehr Spaß gemeinsam z. Bsp. im Urlaub neue Länder oder Städte zu entdecken. Sich gemeinsam an schöne Tage zu erinnern ist toll. Ich hab zwar ne Menge Fotos im Urlaub gemacht und konnte auch eine Menge dazu erzählen aber es ist halt nur totes Papier und die Erlebnisse sind für die, die nicht dabei waren nur halb so spannend.

Es wurde mit den Jahren immer schwieriger die Fassade des braven "normalen" Sohns aufrecht zu erhalten. Besonders schlimm wurden zunehmend Familienfeiern wie z. Bsp. Geburtstage. Dann kamen immer Fragen "Na wann suchst du dir endlich eine Frau?" oder noch schlimmer nach dem Motto wenn du hier keine findest, such dir doch eine in Polen oder in Thailand.

Mir ging es dabei einfach beschissen. Selbst bei diesen Momenten hab ich schon eine Form von Ausgrenzung erlebt. Ich hab mich immer weiter in mein Schneckenhaus zurück gezogen. Ich wollte nur noch meine Ruhe haben und eigentlich niemanden mehr sehen. Denn jedes Familientreffen wurde für mich innerlich zum Horrortrip. Ich hatte einfach keine Lust mehr auf diese dämlichen Anspielungen zu reagieren.

Es gab eine Zeit, da dachte ich, warum muss ausgerechnet ich anders sein? Es ging soweit, dass ich mir gewünscht habe, ich sei tot. Aber das wäre ja auch keine Lösung, denn ich lebe viel zu gerne. Es gibt so viele Dinge, die mir einen Reisenspass machen. Ich bin sehr neugierig auf andere Kulturen und es ist einfach spannend eine Stadt wie z. Bsp. Paris oder New York zu erkunden.

Ganz besonders schlimm fand ich es, wenn andere Schwulenwitze erzählt haben oder sich über schwule lustig gemacht haben. Ich habe natürlich mitgelacht, aber innerlich ging es mir dabei ganz schlecht. Ich wusste ja, dass ich auch zu der Gruppe gehöre auf deren Kosten sehr gern und oft Witze gemacht werden.

Für die Öffentlichkeit existieren nur die ausgeflippten Schwulen. Entweder laufen die halbnackt rum, in Leder oder noch schlimmer in Frauenklamotten. Aber das hat alles nichts mit mir zu tun. Ich bin ein ganz normaler Mensch. Der einzige Unterschied ist, dass dieser Mensch eben einen Mann fürs Leben sucht und nicht eine Frau.

Wenn man das Wort Schwul hört, kommt im nächsten Satz natürlich sofort AIDS. Erstens kann man sich davor schützen und zweitens haben auch viele Heterosexuelle inzwischen AIDS. Es infizieren sich inzwischen sogar mehr "Normale" als Schwule mit dem HIV-Virus.

Gerade wegen AIDS wünschen sich viele Schwule, dass sie einen festen Freund haben. Eine feste Partnerschaft ist das einfachste Mittel zum Schutz vor HiV.

Ich habe immer sehr große Angst gehabt vor dem Tag, wo die Wahrheit auf den Tisch kommt. Ich hatte einfach nicht den Mut zu sagen: Liebe Eltern, liebe Verwandte ich bin schwul.

Ich wusste einfach nicht, wie ich das erklären sollte. Außerdem wollte ich niemanden verletzen. Ich wollte auch meine Eltern, die ich trotz mancher mal vorkommenden Meinungsverschiedenheit sehr mag, nicht verlieren. Ich könnte es nicht ertragen, wenn der Kontakt zu meinen Eltern abreißen würde.

Ich liebe meine Eltern. Ich hatte eine glückliche Kindheit und meine Eltern haben bisher alle meine Entscheidungen (Schule, Beruf, Studium) akzeptiert und sie haben mich immer sehr unterstützt.

Deshalb war es auch so schwer mit der Wahrheit rauszurücken. Ich wollte sie nicht enttäuschen oder verletzen. Andererseits habe ich aber nur dieses eine Leben. Ich habe mich in den letzten Jahren immer öfter gefragt, was besser ist: Weiter alleine und zeitweise sehr unglücklich weiter leben oder aber endlich den Mut zur Wahrheit haben.

Ich war dann an einem Punkt angekommen, wo ich wusste, dass es so nicht mehr weitergehen kann. Entweder ich finde auch jemanden mit dem ich mein Leben teilen kann oder ich kapsele mich weiter ab und werde irgendwann ein egoistischer Sonderling mit dem niemand mehr etwas zu tun haben will.

Dann lernte ich im Oktober 1999 über das Internet Mike kennen. Nachdem wir uns mehrfach im Internet unterhalten hatten, habe ich gemerkt dass da ein sehr sympathischer Typ ist und dass wir sehr viele Gemeinsamkeiten haben. Wir haben dann irgendwann auch sehr oft miteinander telefoniert und es war toll, dass da jemand ist der viele gleiche Interessen (z. Bsp. Kochen, Lesen) hat, der über manche Dinge genauso denkt und der genauso "normal" ist wie ich.

Mike hatte mich dann auch gefragt, ob ich mit ihm und seiner Schwester Andrea Silvester feiern möchte. Aber ich habe abgesagt, denn ich hatte Angst davor mich zu verlieben. Ich wollte ja meine sorgsam aufgebaute Fassade aufrecht erhalten. Und doch hab ich mich damals sehr über meine Feigheit geärgert. Denn ich wollte ja endlich auch nicht mehr allein sein.

Der Zufall kam mir zu Hilfe. Ich hatte tierisch starke Rückenschmerzen, so dass ich eh keinen Spaß an einer Silvesterfeier gehabt hätte.  Also hab ich mal wieder wie die Jahre davor auch Silvester zu Hause verbracht.

Ich habe mich dann Gott sei Dank getraut nach Berlin zu fahren. Mike hat mich am 15.01.2000 in Berlin am Bahnhof abgeholt. Ich habe ihn auf dem Bahnsteig gesehen und gedacht, dass ich ihn schon ewig kenne. Wir sind zusammen ins Europa-Center essen gegangen und wir hatten uns eine Menge zu erzählen.

Sowohl Mike als ich haben uns aber nicht getraut, zu sagen, dass wir mehr empfinden als Freundschaft. Später haben wir beide festgestellt, dass wir uns an diesem ersten Abend bereits verliebt hatten.

Einen Tag später haben wir uns das erste mal geküsst. Es war unbeschreiblich schön. Ich durfte zum ersten Mal erleben, wie schön es ist einen Menschen zu lieben.

Dabei wollten wir uns beide aus unterschiedlichen Gründen eigentlich nicht verlieben. Mike hatte ein paar Monate vorher eine Riesenenttäuschung erlebt und ich wollte aus Angst vor Ausgrenzung keine Beziehung mit einem Mann. Und doch ist es passiert, weil wir beide uns so sehr einen lieben Menschen mit dem man das Leben teilen kann, gewünscht haben.

Ich hatte aber in den folgenden Monaten immer öfter ein schlechtes Gewissen. Meine Eltern habe ich, wenn ich zu Mike gefahren bin, immer nur die halbe Wahrheit erzählt. Die Gefühle zu Mike wurden ausgeblendet, er war halt ein guter Freund, mit dem man am Wochenende was unternimmt. Mike gegenüber fand ich es unfair, das ich unsere Liebe verstecke.

Ich bin der Meinung, dass der Satz "Liebe verdient Respekt" vollkommen richtig ist. Wofür sollten wir uns schämen? Warum eigentlich müssen wir uns verstecken?

Ich hatte dann ein Schlüsselerlebnis. Im Februar 2000 habe ich Mikes Schwestern Andrea und Kerstin, den Mann von Kerstin Torsten und die drei Kinder Anett, Nadine und Mathias zum ersten Mal persönlich getroffen. Ich wurde von Anfang an sehr freundlich aufgenommen. Es war völlig normal, dass ich der Freund von Mike bin. Ich habe zum ersten Mal erlebt, dass Schwulsein akzeptiert und respektiert wird. Ich war für sie einfach ein netter, sympathischer Mensch. Wir sind alle zusammen Bowling spielen gegangen und wir hatten einfach ne Menge Spaß.

Ich durfte dann im Mai zum ersten Mal erleben, wie schön es ist, wenn man gemeinsam Urlaub macht. Es war einfach toll, gemeinsam Prag und Rügen zu erkunden.

Und doch lag immer noch ein großer Schatten über meinem Glück. Ich wusste einfach nicht, wie und wann ich endlich meinen Eltern die Wahrheit sagen soll. Ich konnte nicht einschätzen, wie sie darauf reagieren würden. Ich hatte immer noch sehr große Angst.

Mike hat immer zu mir gesagt, dass ich mir Zeit lassen soll. er hat mir sehr geholfen, wenn ich mal wieder verzweifelt oder unglücklich über meine "Feigheit" war. Ich bin noch nie so glücklich gewesen wie seit dem letzten Jahr und ich konnte mein Glück nicht offen zeigen.

Dann kam der Tag an dem ich gefragt wurde: "Bist du schwul?" Ich konnte einfach nicht mehr anders als einfach "JA" zu sagen. Die Reaktion auf dieses "JA" hat mich sehr verletzt. Ich wurde mit Vorwürfen überschüttet und erntete nur Unverständnis. Es war also genau das eingetreten, wovor ich immer eine so große Angst hatte. Ich war erschrocken über diese heftige ablehnende Reaktion und ich konnte darauf nicht mehr viel sagen.

Es war sehr schön, dass Mike an diesem Wochenende hier war. Ich habe geweint und er hat mich getröstet. Er hat mir Mut gemacht.

Ich war aber auch irgendwie befreit. Endlich hatte das Versteckspiel ein Ende. Ich hatte aber auch sehr große Angst vor der Zukunft. Wie geht es weiter? Können meine Eltern und auch die Verwandten es irgendwann einmal akzeptieren oder wenigstens respektieren?

Am darauf folgenden Montag Abend wurde ich wieder mit Vorwürfen überschüttet. Ich habe versucht ruhig zu bleiben und zu erklären, dass ich immer noch der Gleiche bin. Der Thomas, den meine Eltern vorher kannten, gibt es immer noch. Ich habe mich nicht verändert. Es ist nur ein wichtiger Teil meiner Persönlichkeit, der nur so sehr lange sorgfältig versteckt wurde, hinzugekommen.

Ich wünsche mir sehr, dass wir auch weiterhin als Familie unter einem Dach zusammenleben können. Ich möchte meine Eltern und auch meine Verwandten nicht verlieren. Aber ich könnte es nicht ertragen, wenn ich dauernd geschnitten, ausgegrenzt oder nicht so akzeptiert werde wie ich nun mal bin.

Ich möchte nicht zwischen der Liebe zu meinen Eltern und der Liebe zu Mike wählen müssen .

Ich weiß nicht, warum gerade ich schwul bin. Ich habe es mir nicht ausgesucht. Es ist halt so und ich musste lernen damit umzugehen. Ich habe nicht vor, mich den Rest meines Lebens dafür rechtfertigen zu müssen. Ich möchte endlich nach vielen verlorenen Jahren einfach nur noch glücklich sein.

Ich hoffe, dass die Zeit die Wunden heilt. Ich wünsche mir sehr, dass ich so akzeptiert werde, wie ich bin.

Wie die Geschichte weitergeht, weiß ich auch nicht. Ich bin jetzt sehr Glücklich und ich möchte auf dieses Glücksgefühl nie wieder verzichten.

Mir war es sehr wichtig, dies alles mal aufzuschreiben.

L I E B E   V E R D I E N T   R E S P E K T