Das Toastbrot

Neun Wochen und eine halbe schon lag es auf der Mikrowelle und schimmelte nicht. Es war nicht das erste Toastbrot, das auf der Mikrowelle landete, angebrochen, zur Hälfte verbraucht, scheibchenweise dem Ende seiner Tage näher gebracht und doch noch nicht ganz verschwunden, noch nicht aufgegessen. Es wird auch nicht das letzte sein. Da lag es also und schimmelte nicht. Unerhört! Brot, das weiß man, schimmelt, wird es nur lange genug sich selbst überlassen. Sanft und weiß zunächst, im Aussehen an Mehlstaub erinnernd, doch am Geschmack erkennbar. Später dick und grün und ekelhaft, so dass man es kaum mehr mit spitzen Fingern anfassen mag, um es auf seinen letzten Weg zu führen. Doch dieses hier verweigerte sich. Es sagte nichts. Versuchte nicht, sein Verhalten zu rechtfertigen. Das wäre ihm auch kaum gelungen, denn eigentlich verhielt es sich nicht. Es tat überhaupt nichts, bis auf dies eine: es schimmelte nicht. Bisher war mir noch jedes Brot verschimmelt, hatte ich mich erst einmal entschlossen, es nicht sofort vollständig zu verspeisen. Dieses hier wollte nicht. Oder konnte es nicht? Gottes Wege sind unergründlich und die eines Toastbrotes gleichermaßen; beider Geist entzieht sich dem menschlichen Verstehen. Bisher war jedes Brot verschimmelt, doch niemals hatte ich gefragt: Warum?

Nie hatte mich ein Zweifel geplagt, eine Frage gequält, ein Krümel gepiekt, nie hatte mich mein Brot überhaupt interessiert, nie hatte es meine Aufmerksamkeit geweckt, nie meine Sinne angeregt oder meine Gedanken beflügelt, wenn ich nicht gerade dabei war, es zu verspeisen. Und dieses Toastbrot lag auf der Mikrowelle und schimmelte nicht. Essen mochte ich es nicht mehr. Wer isst schon ein Toastbrot, das dem Alter nach längst besten Humus abgegeben sollte? Doch einfach wegwerfen konnte ich es auch nicht. Es war schließlich das erste Brot, das wochenlang auf meiner Mikrowelle gelegen hatte und nicht verschimmelt war! Zudem klangen mir Mutters Ermahnungen im Ohr - Vertreibung, Nachkriegszeit, falsche Seite der Mauer, wer hat das nicht schon mal gehört? Meinem halben Brot war das egal. Es lag auf meiner Mikrowelle, eingepackt in Plastikfolie, und schimmelte nicht.

War es Täter oder Opfer? Benahm es sich daneben, weil es den rechten Weg der anderen nicht gehen wollte? Tanzte es aus der Reihe, weil's einfach seinem Naturell entsprach? Schrieb es seinem Tun, oder vielmehr Nichtstun, einen Sinn zu, oder war es nur dabei, die Grenzen seiner kleinen Welt auszuloten? War es gar nur durch Fremde in seine Rolle gezwungen worden? Hatte man es mit Drogen voll gepumpt, es mit Konservierungsstoffen getränkt? Aber nein, ich hatte ja schon die Hälfte gegessen, und mir ging es gut. Je länger ich nachdachte, desto unruhiger wurde ich. Von meinem Zustand unbeeindruckt, lag das Brot auf der Mikrowelle und schimmelte nicht. Ich konnte nicht länger zusehen. Irgend etwas musste passieren. Aber es einfach wegwerfen? Es grausamen Männern in orangefarbenen Anzügen überlassen? Ja, es musste sein. Doch etwas war ich meinem Brot noch schuldig. Die ganze Welt sollte von diesem Toastbrot erfahren. Nie sollten es die Menschen je wieder vergessen. Ich bitte Sie um Hilfe. Wenn Sie diesen Text erhalten, schicken Sie bitte binnen 96 Stunden 10 Kopien an Freunde und Bekannte. Es wird Ihnen vielleicht Glück bringen. Vielleicht auch nicht, aber dann bleibt Ihnen wenigstens das gute Gefühl, mit wenig Aufwand viel für ein halbes Toastbrot getan zu haben.

Werfen Sie diesen Text bitte nicht einfach weg. Wer weiß, vielleicht wird eines Tages auch auf Ihrer Mikrowelle ein Brot liegen; eine Woche, zwei, vier, und sie werden wehmütig an diesen Text zurückdenken, den Sie damals einfach gelöscht haben.

Mein Toastbrot liegt jetzt im Mülleimer und schimmelt immer noch nicht.