Drohende Schatten

Eine Woche nach dem Zwischenfall in Dae Ardh

Schneckchen kam in einer der palastinternen Supportboxen zum Stehen. Selbstständig legten sich die Halteklammern um den Torso des strahlend rosafarbenen Dragoon und hielten ihn aufrecht, Schläuche verbanden sich mit den Ports der Kühlaggregate und beschleunigten das Herunterfahren des Mikroreaktors. Zischende Dampfwolken verdeckten die Sicht im Cockpit und Suse wischte sich einmal über ihr Gesicht, um kurzzeitig die innere Müdigkeit zu verdrängen. Nun musste sie das alles verantworten. Schon auf dem Weg hierher waren die ersten Reaktionen zu ihr durchgedrungen.
Der Tod von Xopherus war nicht die einzige Übertragung dieser Femme Fatale namens Faeg Cuivie geblieben. Einige Tage später hackte sie sich erneut in das INN und ließ neben dem typischen Säbelrasseln die Information fallen, dass sie zum Todeszeitpunkt in der Basis gewesen war. Sie war dabei gewesen, als Xopherus seinen letzten Atemzug tat. Suse - die Vertraute des Imperators, die Kaiserin - in einer Basis der Schattenhand, fraternisierend mit dem Feind des Imperiums. Das konnte nicht gut gehen.
Noch auf dem letzten Stück des Heimweges nach Mural Dyrinn erreichten sie die ersten Memos und Nachrichten, die Stimmung ihr gegenüber im gesamten Gebiet des Imperiums war komplett umgeschlagen. Stellenweise wurde sogar ihre Inhaftierung und Verbannung gefordert. Dass diese Informationen von eben der Schattenhand geliefert worden waren, die alle so verteufelten, daran dachte in den Momenten niemand. Gut, Faeg hatte ja Recht damit, aber ihre angebliche Verbrüderung war einfach lächerlich. Allein wegen Xoph … mit einer unbewussten Handbewegung wischte sie den Gedanken beiseite. Am meisten entsetzt und enttäuscht hatte sie die fristlose Kündigung von Noth. Eigentlich hätte er sie soweit kennen müssen, dass er zumindest abwartete, bis sie wieder da war und eventuell eine Erklärung parat hatte. Schnell nahm sie die Tasche mit den Gegenständen hinter dem Pilotensitz an sich, öffnete die Luke und machte sich auf den Weg.
„Ich halt’s nicht mehr aus!! Das ist das reinste Irrenhaus momentan.“
„Jetzt beruhig dich erstmal und setz dich. Ich kann dich aber verstehen. Etwas Tee? Schwarz mit Milch, wenn ich mich richtig erinnere.“ „Ja, bitte.“
Suse seufzte und ließ sich in den Sessel fallen. Dankbar nahm sie die Tasse vom Imperator entgegen, schnupperte vorsichtig an der Tasse und trank schluckweise. Dann lehnte sie sich zurück und versuchte zu entspannen.
„Und jetzt bitte langsam noch mal von vorne, und überleg gut, ob dir noch Kleinigkeiten einfallen.“
Stumm und mit geschlossenen Augen saß Suse da und ging im Gedanken noch mal alles durch.
„Die Übertragung war eigentlich aussagekräftig genug. Wie ich in die Basis gekommen bin, ist auch bekannt. Als er …“ bei diesen Worten brach ihre Stimme. Verstohlen wischte sie sich über die Augen, blinzelte lächelnd in Richtung Decke und versuchte, ihre Stimme wieder unter Kontrolle zu bringen. Zu frisch waren die Erinnerungen an diesen Moment.
„Tut mir leid, dich da jetzt durch zu zwingen, aber besser jetzt als später.“
„Als er .. er nannte zwei Namen. Der eine war von dieser Faeg und der andere war Cyem. Aber den hörte ich da zum ersten Mal. Ich weiß über ihn nicht das Geringste.“
Die gefalteten Hände des Imperators lagen auf der massiven Holzplatte seines Schreibtisches, sein Blick glitt über die vielen Dinge in den verglasten Fronten der Schränke.
„Hast du noch Informationen, die uns helfen könnten?“
„Kaum etwas, nur ein paar letzte persönliche Gegenstände, die diese Elster nicht hat mitgehen lassen. Es ist aber nichts darunter, was über Xopherus’ oder ihre Pläne Aufschluss geben könnte. Ich hab schon auf meiner Herreise alles genauestens untersucht.“
Mit schmerzenden Gliedern stand sie aus dem Sessel auf und leerte den Inhalt auf dem Tisch aus. Einige Datenkristalle mit Lieblingsrezepten, eine gerahmte Holographie von Xopherus und ihr auf einer Feier im imperialen Palast aus glücklicheren Zeiten, eine in Glasit gegossene blaue Rose und andere Kleinigkeiten kullerten wild durcheinander. Interessiert sah sich der mächtigste Mann des Planeten alles nacheinander an. Zögernd streckte Suse die Hand nach der Holographie aus.
„Könnte ich das hier behalten? Es hängen eine Menge persönlicher Erinnerungen daran.“
Sinnend betrachtete der Imperator das Bild und nickte dann.
„Mach mir bitte eine Kopie davon, schließlich habe ich mit Xopherus viele Jahrhunderte lang Seite an Seite.. mach mir bitte eine Kopie davon.“
Seufzend lehnte er sich zurück.
„Und nun geh bitte schlafen. Es war eine harte Woche und die permanenten Attacken haben dich nicht nur geistig ermüdet. Wir treffen uns morgen um 1100 hier und schauen dann, was Selaris bis dahin herausgefunden hat.“

Nebeneinander betraten Suse und der Imperator die kleine Nachrichtenzentrale in einem Nebenflügel des Palastes. Missbilligende Blicke zu Suse waren die erste instinktive Reaktion, dann kam wieder die berufliche Professionalität der Agenten zum Tragen und die Gesichter wurden ausdruckslos. Mit einem Räuspern erhob sich Selaris aus einem Drehsessel, grüßte beide mit einem knappen Nicken und Handschlag und ging voran zum holographischen Kartentank in der Mitte des Raumes. Mit einigen Berührungen ließ er eine schillernde Darstellung von der Erde entstehen, vergrößerte den unteren dreieckigen Teil vom Kontinent Eufrasien und legte ein Koordinatengitter darüber. Inmitten der renaturierten Gebiete erschien ein rot blinkender Punkt.
„Den abschließenden Ermittlungen nach befand sich die Basis schon eine Weile an diesem Ort. Tiefgreifende Schürfarbeiten deuten auf einen intensiven Ressourcenfluss hin. Wieso sie niemand hat finden können, ist mir ein Rätsel. Selbst im letzten Schattenhandkonflikt wussten wir immer, wo sie steckten, konnten aber dank Xopherus’ Virus in den Systemen der Okularis nichts gegen sie unternehmen. Aber diesmal haben die Sensoren nichts bemerkt. Auch die permanenten Erdbeobachtungen von Mondhafen und Kontrollflüge der siverianischen Scouts und Aufklärer haben nichts aufdecken können. Diese Stelle war für all unsere Geräte leer.“
Das Gesicht des Geheimdienstchefs verkrampfte sich vor Wut.
„Wissen wir überhaupt irgendwas?“ fragte der Imperator mit beherrschter Stimme. Es war ihm aber anzusehen, dass er nicht sehr glücklich war über die Ahnungs- und Hilflosigkeit seiner Leute.
„Nunja,“ Selaris räusperte sich unbehaglich und rückte seine Sonnenbrille, die er nie abnahm, wieder zurecht, „wir haben eine Menge Vermutungen. Was wir aber definitiv wissen, ist, dass die Basis nicht mehr da ist. Das gesamte Gebiet wurde manuell auf Bodenniveau abgesucht. Des Weiteren konnten wir keine seismischen Aktivitäten im fraglichen Zeitraum – bezogen auf die Region – anmessen, also müssen wir auch davon ausgehen, dass es sich um eine der vermissten alten Sprungbasen mit Schockkompensatoren handelt. Das war es leider schon.“
„Alle Ressourcen sind sofort für eine Klärung der Umstände einzusetzen. Andere Sachen haben dahinter zurückzustehen.“
„Zu Befehl, mein Imperator.“
Mit einer angedeuteten Verbeugung ging Selaris zu seinem Sessel zurück und verfiel in hektische Aktivität.
Der Imperator bot Suse seinen Arm an und sie verließen gemeinsam den Raum. Vor der Tür angekommen, blieb der Imperator plötzlich stehen, runzelte die Stirn und starrte auf einen leeren Bereich des Ganges vor ihnen. Suse drehte den Kopf und nahm in der Bewegung eine Art Schatten aus den Augenwinkeln wahr, der sich von ihnen fortbewegte. Als sie dann aber genau hinsah und versuchte, den blinden Fleck zu fixieren, war es verschwunden. Fragend schaute sie ihr Gegenüber an.
„Ich weiß es nicht, es ist aber nicht das erste Mal.“
Sein Blick fing sich in ihren Augen.
„Was hast du nun also vor?“
„Was glaubst du denn? Ich hol mir den Kopf von dieser Schlampe, und wenn es das Letzte ist, was ich tun werde. Sie hat einen nicht wieder gut zu machenden Schaden angerichtet und dafür wird sie bezahlen – im vollen Umfang.“
Das Schnaufen Suses spiegelte ihren verächtlichen Gesichtsausdruck wieder.
„Ich hätte da noch einen ruhigen Job für dich, abseits aller Bedrängnisse von Außen. Niemand würde etwas..“
„Danke, Väterchen,“ unterbrach sie ihn „aber du müsstest mich gut genug kennen, dass du weißt, dass ich nicht eher ruhen werde, bis sie vor mir im Staub liegt. Ich weiß nicht, ob wir uns jemals noch mal wieder sehen.“
Mit diesen Worten küsste sie ihm auf die Stirn, zog ein flaches Päckchen aus den unergründlichen Tiefen ihrer Kombination, drückte es ihm in die Hand, umarmte ihn nochmals und ging schnellen Schrittes zum Hangar. Mit einem leichten Druck auf ihren Handrücken aktivierte sie ihr subdermales Kom.
„Schneckchen, bitte fahr den Reaktor hoch, ich bin in zehn Minuten bei dir. Wir gehen auf die Jagd.“
Hinter ihr im Gang schaute ein einsamer Mann auf die Kopie einer holographischen Aufnahme.

„Imperial News Network für sie heute Abend live aus den Duellstadien. INN hat die heutigen Kämpfe für sie zusammengefasst. Im Anschluß eine Direktschaltung in das Cockpit von Darius da Siveria, der sich derzeit mit Khasgar da Corelis in einem Dragoon ein spannendes …… kkkssssssssssszzzzzzzzzzzzzzzchhhhhhpfft.“
Flimmernd verwischte das Bild der abendlichen Übertragung – auf allen Sendern und auf allen Bildschirmen. Ein abgedunkelter Raum wurde sichtbar, im Hintergrund das Symbol der Schattenhand auf einem schwarzsamtenen Banner, davor zwei thronartige Sessel. In dem einen saß entspannt eine breitschultrige, augenscheinlich männliche Gestalt, die Kapuze eines Umhangs tief ins Gesicht gezogen und angetan in einer martialisch anmutenden Rüstung. Der blinkende Armschutz ließ jedoch auf einige moderne Einbauten schließen. Die rechte Hand lag auf dem Griff eines schwarzen Schwertes mit längs gespaltener Klinge, ein Teil länger als der andere. Ein prächtig gebauter Körper verstärkte die Aura der Bedrohung und die ab und an zuckenden Muskeln der Arme waren ein deutliches Zeichen für die stete Wachsamkeit. Das Gesicht war nicht sichtbar, da die einzige Beleuchtung in dem Raum von hinten kam und so seine Identität erfolgreich verbarg. Im anderen saß aufrecht und mit steifem Rücken eine Frau, die den meisten in gutem Gedächtnis geblieben war nach den Ereignissen der letzten Wochen. Die Kapuze ihres Umhanges auf den Schultern, trug sie eine schwarze eng anliegende militärische Uniform ohne sichtbare Rangabzeichen. Die beherrscht knappen Bewegungen und Gesten drücken auf andere Art die gleiche Macht aus wie bei der Gestalt neben ihr. Langsam beugte sich Faeg Cuivie vor, stützte sich mit dem rechten Arm auf die Lehne und schaute in das Objektiv.
„Hallo, meine Schäfchen.“
Ihr vorher unbewegtes Gesicht bewegte sich leicht und ein Grinsen zog ihre Mundwinkel nach oben.
„Ihr habt es also geschafft, eine der Euren zu vertreiben. Eine, die euch stets unterstützt und geholfen hat. Feini gemacht, dafür bekommt ihr auch ein Leckerli.“
Das Grinsen wurde breiter und ihr Blick wurde stechend.
„Das ihr euch damit ins eigene Fleisch geschnitten habt, muss euch wohl noch klar werden. Suse wird mich nicht finden, aber mit ihrer Suche nach mir sind ihre Ressourcen gebunden. Viel Verlangen nach einem Abbruch der Suche wird sie auch nicht haben, nachdem ihr ihre Verbundenheit zu Xopherus so offenkundig als Grund für Diffamierungen genutzt habt.“
Ihr Blick glitt hinüber zu der zweiten Gestalt und kam wieder zurück.
„Cyem und ich haben nun das Ruder in der Hand und seid euch dessen gewiss - wir werden uns von jetzt an öfter sehen. Ob das nun aber gut für euch ist, steht auf einem anderen Blatt. Es wird nicht heute passieren und auch nicht morgen; übermorgen ist auch unwahrscheinlich. Aber bald .. und solange werdet ihr in jedem Schatten um euch unsere Klingen spüren, denn die warten nur darauf, euer Blut zu schmecken.“
Ihr Grinsen wurde breiter und strahlende Zahnreihen wurden hinter den dünnen Lippen sichtbar, der Ausdruck wurde raubtierartig. Und mit diesem Bild endete die Übertragung.